Ungenutzte Impfdosen – das geschieht mit ihnen
Anfang 2021 war Corona-Impfstoff noch Mangelware, nun muss er teilweise in großen Mengen entsorgt werden, weil er nicht genutzt wird. Doch warum haben wir so viel Impfstoff? Und weshalb folgt als Konsequenz die Entsorgung und nicht die Spende an andere Länder?
Warum hat Deutschland so viel Impfstoff?
Mit dem Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums kann nachverfolgt werden, dass phasenweise etwa 1,5 Millionen Dosen pro Tag verabreicht wurden. Doch die Zahl sinkt. In den vergangenen Wochen handelte es sich nur noch um einige Zehntausend Impfdosen täglich.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gab einen aktuellen “Überschuss” an Impfstoffdosen zu. Zudem sei die Bestellung weiterer Impfstoffe geplant, sodass die älteren Impfstoffe ablaufen würden. “Wir können noch nicht vorhersagen, mit welchen Varianten wir im Herbst ringen müssen”, zitierte die Tagesschau Lauterbach.
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, kritisierte in der “Rheinischen Post”, “dass Minister Lauterbach mit seiner Einkaufspolitik massive Überschüsse in Kauf nimmt”.
Warum wird der Impfstoff vernichtet?
Mitte April erklärte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Berlin, dass bis Ende Juni vermutlich drei Millionen Impfstoffdosen gegen das Coronavirus vernichtet werden. Zunächst war man von zehn Millionen Dosen ausgegangen, doch der BioNTech-Impfstoff könne länger gelagert werden.
Der Grund für die Vernichtung: aktuell würde mehr Impfstoff zur Verfügung stehen, als genutzt werde. Laut Gesundheitsministerium lagerte Deutschland am 4. April 2022 77 Millionen Dosen der Corona-Impfstoffe. Insgesamt wurden 677 Millionen Impfdosen für die Jahre von 2021 bis 2023 bestellt.
Doch die Kosten für Vernichtung nannte der Sprecher des Gesundheitsministeriums nicht, weil damit Rückschlüsse auf die Preise gezogen werden können, die nicht bekannt werden sollen.
Im Gespräch mit der “Welt” erklärte das Bundesgesundheitsministerium, dass die Impfstoffe nur in Mehrdosenbehältnissen verfügbar seien. Gemäß ihrer Zulassung seien sie bei Anbruch nur wenige Stunden haltbar. „Bei der derzeitigen Geschwindigkeit der Impfkampagne ist nicht davon auszugehen, dass sich vor Ort in jedem Fall eine hinreichende Anzahl zu impfender Personen findet, um die in einem Mehrdosenbehältnis verfügbaren Impfdosen in Gänze aufzubrauchen“, so das Ministerium. Deshalb sei davon auszugehen, dass “derzeit in nicht wenigen Fällen” die Entsorgung von Impfstoffen erfolge.
Auch Vernichtungen im zentralen Impfstofflager des Bundes gebe es nach Berichten der “Welt”. Laut Bundesgesundheitsministerium seien die Gründe unter anderem: “Bruch bei Kommissionierung, Beschädigungen beim Transport (z. B. Erschütterungen, Unfälle), Flüssigkeitsverluste und das erreichte Verfallsdatum”.
Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, sagte der “Welt”, dass es aktuell wenig Nachfrage an Impfterminen gebe. Deshalb solle alles dafür getan werden, um die Impfstoffvernichtung zu verhindern und Impfstoffe “vorausschauend” an andere Länder mit Impfstoff-Bedarf abzugeben.
Warum wird der Impfstoff nicht gespendet?
Den Impfstoff zu Spenden, bevor er abläuft, wäre eine Möglichkeit. Doch derzeit gebe es mehr Impfstoff, als gespendet werden könne, so der Sprecher des Gesundheitsministeriums. Beispielsweise nehme die Impfstoff-Initiative COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) keine Impfstoffspenden mehr an. Die Gefahr, dass der Impfstoff deswegen entsorgt werde, sei vorhanden.
Erst Mitte Februar dieses Jahres berichtete die Tagesschau, dass die EU nach Angaben der Aktivisten der People’s Vaccine Alliance zirka 55 Millionen Impfdosen entsorgte. 30 Millionen Dosen wurden an Afrika gespendet. Der Vorwurf: Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten würden die Impfstoffe bis zum Verfallsdatum horten, während in Afrika ein Impfstoffmangel herrsche.
Die Preisgestaltung werde den Pharmaunternehmen überlassen, die ausschließlich an der Profitmaximierung orientiert sei, erklärte die Allianz zudem. Deshalb forderte sie die Freigabe der Impfstoff-Patente.
In KW 14 hat Deutschland laut Auswärtigem Amt etwa 104 Millionen Impfstoffdosen überwiegend an COVAX gespendet.
Laut dem Gesundheitsministeriumssprecher gebe es eine geringere Nachfrage “als es gut wäre”, zudem versuche die internationale Pandemiebekämpfungsinitiative ACT-Accelerator eine angemessene Logistik für den schwierigen Transport und die Handhabung der Impfstoffe aufzubauen. Die Kampagne wurde am 24. April 2020 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und einer Gruppe von Gesundheitsakteuren gestartet.
Probleme bei der Verteilung der Impfstoffe
Laut “Fact Sheet” des globalen COVID-19-Gipfel im September 2021 sollten für das weltweite Impfziel bis September 2022 70 Prozent der Menschen weltweit grundimmunisiert werden. Doch Forschende des Global Health Innovation Centers der Duke University in North Carolina in den USA gehen davon aus, dass ungefähr 100 Länder das Ziel nicht erreichen werden.
Laut den Forschenden wäre theoretisch genug Impfstoff für alle vorhanden, berichtet der “Business Insider” Mitte Mai 2022. Gründe für die Verteilungsprobleme seien:
- logistische Problemen in wirtschaftsschwachen Ländern
- zu wenig Personal
- fehlende Aufklärung bei den Impfkampagnen
- viele Genesene, denen eine Impfung weniger wichtig erscheine
- Abgabe der Impfstoffe durch wirtschaftsstarke Länder kurz vor Ablaufdatum
Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Beschwerde der Verteilungsinitiative COVAX: „Die zugesagten Spenden der reichen Staaten kamen oft zu spät oder waren nicht berechenbar”. 100 Millionen Impfdosen seien von den Empfängerländern 2021 abgelehnt worden, weil eine rechtzeitige Nutzung nicht möglich gewesen wäre.