Kliniken droht Überlastung durch Covid-19 Patient:innen
Der Herbst ist da, die Inzidenzzahlen steigen wie im vergangenen Herbst und wir stecken mitten in der vierten Corona-Welle. In Deutschland sind 66,81 Prozent der Menschen vollständig geimpft, wobei 69,48% mittlerweile eine erste Dosis erhielten. 33,26 Prozent der deutschen Bevölkerung haben demnach keine oder keine vollständige Impfung erhalten. Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich zu, Ärztinnen und Ärzte sind besorgt.
Sorge vor Überlastung der Intensivstationen
Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz in Deutschland liegt bei einem Wert von 169,9. Thüringen, Sachsen und Bayern verzeichnen Höchstwerte mit Inzidenzen von über 200. Die Hospitalisierungsrate liegt laut RKI bei 3,91 und sagt aus, wie viele von 100.000 Personen innerhalb von sieben Tagen wegen einer Corona-Erkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden. Die Hospitalisierungsinzidenz wurde schon öfter kritisch betrachtet, da die Zahlen oft mit Verzug gemeldet werden.
Christian Karagiannidis, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, twittert: “Die Zahl der täglichen #COVID19 Aufnahmen auf die #Intensivstationen hat sich im letzten Monat etwas mehr als verdoppelt auf heute 182. Es wäre gut statt Hospitalisierungsraten besser die #Inzidenzen, Intensivbelegung und Intensivneuaufnahmen als Leitindikatoren zu verwenden.”
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, erklärt, dass der Wert niedrig erscheine, jedoch innerhalb einer Woche signifikant mehr Covid-19-Patient:innen in Kliniken eingewiesen wurden. Bei gleichbleibender Entwicklung prognostiziere er in zwei Wochen 3000 Patient:innen auf der Intensivstation, was Folgen für den Regelbetrieb haben würde. Eingriffe, die planbar und nicht dringend seien, könnten dann verschoben werden.
Stefan Kluge, Direktor der Intensivmedizin UKE Hamburg, berichtet: “Die Sorge ist, dass da einfach noch viel mehr Patienten auf uns zukommen”. Laut dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (divi) befinden sich aktuell 2332 Covid-19-Patient:innen in intensivmedizinischer Behandlung. Überlastet sind die Intensivstationen vor allem, weil das Personal fehle, so Dr. Christoph Specht, Arzt und Medizinjournalist.
Mehr Impfungen, um schwere Verläufe zu verhindern
Eine Erhöhung der Impfquote sieht Frank Ulrich Montgomery als Ziel, damit es mehr milde Covid-Verläufe gebe, die keinen Krankenhausaufenthalt benötigen. Ungeimpfte Personen haben immer noch ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe, während doppelt Geimpfte vor dem Virus deutlich sicherer sind.
Auch der Weltärztebund und die Krankenhausgesellschaft rufen die Bevölkerung dazu auf, sich impfen zu lassen. Neben der Impfung für Menschen mittleren Alters appelliert Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, zur Auffrischungsimpfung bei über 70-Jährigen.
Christoph Specht betont die in diesem Winter vorherrschende Delta-Variante, die sich durch fehlende Kontaktbeschränkungen in der kalten Jahreszeit noch schneller ausbreiten könnte als letztes Jahr.
Kritik an Arbeitsbedingungen in Kliniken und der Pflege
Die steigenden Probleme auf den Intensivstationen seien unter anderem darauf zurückzuführen, dass keine Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung des Personals stattfanden, so der Chefarzt und Sektionsleiter der Intensivmedizin am St. Antonius Hospital Eschweiler, Uwe Janssens.
Gleiches gelte in der Pflegebranche. Claudia Moll, SPD-Gesundheitspolitikerin, erklärt, dass Beschäftigte unter zunehmendem Druck leiden würden, denn um alle anfallenden Aufgaben zu erledigen, müssen diese ihre Arbeitszeiten ausdehnen, nur so funktioniere die Arbeit. Die Gesundheitsexpertin machte selbst eine Ausbildung zur Altenpflegerin.
Auch Karagiannidis berichtet, dass viele Kliniken Personalprobleme melden würden, denn das Personal sei müde und werde weniger. Michael Hallek, Professor am Universitätsklinikum Köln, gibt die gleiche Meinung wieder und spricht von ausgebranntem und überlasteten Personal: “Viele Pflegekräfte haben mir erzählt, dass sie das Zumachen der Leichensäcke, dieses Geräusch, nicht mehr hören konnten. Das spiegelt wider, was da in den Wochen passiert ist von Jahresanfang bis Mitte Mai.“ Es ist wichtig, den beruflichen Druck zu reduzieren.
Viele der Pflegekräfte und Ärzte im Intensivbereich hätten ihre Arbeit unter anderem aufgegeben, “weil sie es leid seien, sich für die Unvernunft von Impfgegnern abzurackern”, so Montgomery. 33,26 % der Deutschen möchten sich immer noch nicht impfen lassen.
Die Corona-Lage auf den Intensivstationen Berlins
Durch die schweren Covid-Verläufe erwartet die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG), dass ein Wechsel der Kliniken in den Notbetrieb nötig sein wird. Der Geschäftsführer der BKG rechne damit, dass voraussichtlich zehn Prozent der Krankenbetten in Berlin – das entspräche 2000 Betten – zukünftig für Coronapatient:innen freigehalten werden müssen. Das erfordert Ausgleichszahlungen der ausbleibenden Einnahmen. Im Winter 2020 hatten die Krankenhäuser Freihaltepauschalen vom Bund erhalten.
Auch in Bayern werden die Intensivbetten knapp
Die Bayerische Krankenhausgesellschaft beobachtet den steigenden Trend der Corona-Infektionen mir Sorge. Die 7-Tage-Inzidenz in Bayern liegt bei 228,4 und hat zur Folge, dass ungefähr die Hälfte aller bayerischen Landkreise meldet, dass nur noch wenige Intensivbetten frei seien. Auch hier werden planbare Eingriffe verschoben.
Roland Engehausen, Chef der bayerischen Krankenhausgesellschaft, geht in den folgenden Wochen von noch mehr Covid-Patient:innen in den Intensivstationen der Krankenhäusern aus. Am Dienstag lagen laut Divi-Intensivregister 455 Covid-Intensivpatient:innen auf den bayerischen Intensivstationen. Engehausen rechnet mit über 600 Patient:innen im Laufe der Woche. Das würde die Krankenhaus-Ampel auf den roten Status setzen und hätte Corona-Maßnahmen zur Folge, die derzeit aber noch nicht bekannt sind. Einen Lockdown soll es laut bayerischem Gesundheitsminister, Klaus Holetschek, nicht geben.
Thüringen beklagt Personalverluste
Die Lage in den Krankenhäusern Thüringens spitzt sich ebenfalls zu. Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 338,2 ist Thüringen das Bundesland mit den meisten Corona-Infektionen. Aufgrund hoher Personalverluste seit Anbeginn der Pandemie – zehn bis 20 Prozent der Pfleger:innen – sorge sich Michael Bauer, Klinikdirektor der Universitätsklinik Jena.
Gründe für die Personalverluste sei vor allem die enorme mentale Belastung. Während im Mai eine Betreibung von 1000 Intensivbetten möglich war, sind es nun aufgrund der Personallage nur noch zirka 700. Heike Werner, Thüringens Gesundheitsministerin, fordert die Parteien dazu auf, bessere Arbeitsbedingungen für das Klinikpersonal zu schaffen, sonst sei der aktuelle Personalverlust “nur der Anfang”.
Großbritannien “am Limit”
Auch im Ausland ist die Lage kritisch. Nach dem Freedom Day am 19. Juli, bei dem England alle Corona-Maßnahmen beendete, hat das Land nun mitunter eine der höchsten Infektionsraten weltweit, derzeit liegt die 7-Tage-Inzidenz bei einem Wert von 409,5. Mehr als 1000 Krankenhauseinweisung gibt es aktuell täglich. Insgesamt hat das Land schon 141.390 Corona bedingte Todesfälle verzeichnet.
Der Ärzteverband BMA (British Medical Association) wirft der britischen Regierung vor, “bewusst fahrlässig” zu handeln. Matthew Taylor, Geschäftsführer des Verbands der Trägerorganisationen des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS, fordert deshalb – wie die BMA und viele andere Ärzt:innen – den von der Regierung angekündigten Plan B. Dieser beinhaltet Corona-Maßnahmen wie die Wiedereinführung der Maskenpflicht in überfüllten Räumen sowie das Vorzeigen von Impfpässen bei Großveranstaltungen und sollte eingeführt werden, wenn dem Nationalen Gesundheitsdienst NHS drohe, von der Situation überwältigt zu werden. Chaand Nagpaul, Chef der BMA, sieht an dieser Stelle das Eintreffen der Lage.
Zur Höchstzeit im Januar 2021 wurden bis zu 4200 Corona-Patient:innen in Krankenhäuser eingeliefert und mehr als 38.000 Covid-Patient:innen stationär behandelt. Aktuellen Zahlen zufolge seien es 1000 Neuaufnahmen sowie 9000 Patient:innen.Dennoch starben vor Kurzem zwei Patient:innen in Worcester und Cambridgeshire in den Krankenwägen vor den Notaufnahmen. Dort stauten sich die Ambulanzen. Die Corona-Pandemie sei laut Martin Flaherty vom Verband der Rettungsdienstleister der Grund für die Überlastung. Die Risikoeinschätzung für Verzögerungen bei der Übergabe an Notaufnahmen wurde von der NHS in der Region West Midlands um Birmingham auf die höchste Stufe gesetzt.