Wo hat das Coronavirus seinen Ursprung?
In der chinesischen Stadt Wuhan traten Ende 2019 erste Fälle der verheerenden Krankheit auf, die später den Namen Covid-19 erhielt. Doch wo liegt der genaue Ursprung von Sars-CoV-2, dem Coronavirus, das die Pandemie ausgelöst hat? Wie übertrug sich der Erreger auf den Menschen?
Unterschiedliche Theorien
Wie Corona erstmals einen Menschen infizierte, ist Inhalt zahlreicher Theorien und Gerüchte. Entstand es aus dem engen Kontakt von Menschen mit Fledermäusen? Entwich es bei einem Unfall in einem Labor, in dem Forscher das Virus untersucht hatten? Ist es womöglich sogar von Menschen produziert worden? Weil das Coronavirus im Dezember 2019 auf einem Markt in Wuhan erstmals entdeckt wurde., nahm man lange eine Verbindung zwischen diesen Menschen und bestimmten Tieren oder Produkten des Marktes an. Doch diese Verbindung konnte nicht gefunden werden. Proben von Tieren des Marktes waren negativ. Damit ist auch möglich, dass der viel besuchte Platz nicht Ursprung der Pandemie, sondern lediglich Ort des ersten bekannten Superspreading-Events war. Tatsächlich mehren sich Hinweise darauf, dass das Coronavirus schon Wochen vorher im Umlauf war.
Spuren des Erregers wurden beispielsweise in aufbewahrten Abwasserproben aus Brasilien und Italien gefunden, die bereits im November beziehungsweise Dezember 2019 entnommen worden waren. In Italien fand man Antikörper gegen Sars-CoV-2 in Blutproben die bereits im September 2019 und Februar 2020 gesammelt worden waren. In China soll es die ersten nachgewiesenen Corona-Infektionen Mitte November gegeben haben. Wo also hat das Virus seinen Ursprung?
Was sagen die Wissenschaftler?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte im Februar ein Ermittlerteam nach China geschickt, um Hinweise auf den Ursprung der Pandemie zu finden. Laut Abschlussbericht geht das Wissenschaftlerteam mittlerweile davon aus, dass das neue Coronavirus aus dem Tierreich stammt. Fledermäuse gelten als die hauptverdächtigen Wirte. Diese These stuften die Fachleute mit „wahrscheinlich“ ein. Bislang aber wurden in diesen Tieren keine Viren gefunden, die Sars-CoV-2 so sehr ähneln, dass sie als dessen direkte Vorgänger gelten könnten. Das macht die These wahrscheinlicher, dass ein Zwischenwirt den Erreger auf den Menschen übertragen hat. Pangoline (Schuppentiere), Tanuki (Marderhunde), Nerze, Hasen, Waschbären, Katzen oder Zibetkatzen kommen unter anderen infrage. So haben chinesische Forscher in einer Studie entdeckt, dass Malaiische Pangoline ähnliche Coronaviren enthalten wie Sars-CoV-2. Der Fundort des Virus würde die These stützen, denn Malaiische Pangoline werden häufig illegal importiert und dann auf Tiermärkten im ganzen Land verkauft.
Welche Rolle spielt der Pelzhandel?
Eine Studie des Friedrich-Loeffler-Instituts zeigt, dass auch Marderhunde Sars-CoV-2 aufnehmen können, ohne Symptome zu entwickeln. Damit kommen die kleinen Fleischfresser auch als Zwischenwirte infrage. Die Wildhundeart wird in China im großen Stil für die Pelzindustrie gezüchtet. Bei der Herstellung der Pelze, die auch häufig in Deutschland als Fellbesatz an Bekleidung zum Einsatz kommen, werden die Tiere bei lebendigem Leib manuell gehäutet. Beim Todeskampf entstehen Aerosole, die von Arbeitern eingeatmet werden könnten. Wahrscheinlich wird die These vor allem dadurch, dass Marderhunde und Schleichkatzen inzwischen als gesicherter Ursprung der SARS Epidemie gelten. Studien zum neuen Corona Virus auf Pelzfarmen gibt es jedoch nicht. Charité-Virologe Christian Drosten zeigt sich empört, dass dieser bekannte Infektionsherd noch immer nicht besser reguliert wird. “Für mich war das eine abgeschlossene Geschichte. Ich dachte, dass diese Art von Tierhandel unterbunden worden sei und dass das nie wieder kommen würde. Und jetzt ist Sars zurückgekommen.”
Laut Abschlussbericht ist die These der Übertragung durch einen Zwischenwirt „wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich“. So oder so wäre Covid-19 ursprünglich eine sogenannte Zoonose, also eine vom Tier auf den Menschen übertragene Infektionskrankheit. Als „nicht wahrscheinlich“ wird die vor allem in China verbreitete These bewertet, dass das Virus mit Tiefkühlprodukten in das Land eingeschleppt wurde. Prinzipiell kann Sars-CoV-2 zwar in oder auf tiefgekühlten Lebensmitteln überdauern. Doch es gibt keinen Beweis, dass sich Menschen auch anstecken, wenn sie diese Produkte essen oder mit ihnen hantieren.
War es ein Laborunfall?
Immer wieder kam auch der Gedanke auf, dass das Virus nicht aus der Natur kommt, sondern im Labor erzeugt worden ist und diese Labore verlassen hat. Die Labor-Theorie besagt übrigens nicht, dass das Virus von Menschenhand absichtlich ausgesetzt wurde, sondern lediglich, dass sich bei legitimen Forschungen an Coronaviren ein Mitarbeiter versehentlich infiziert haben könnte. Solche Vorfälle sind selten. Auf den ersten Blick würde ein Labor-Leck durchaus Sinn machen, denn ausgerechnet in jener Stadt, in der der Erreger erstmals auftauchte, befindet sich das landesweit führende Institut zur Forschung an Coronaviren. Zudem liegt es in der Nähe des Tiermarkts, der als Ursprungsort für Corona vermutet wird. Doch sprechen viele Indizien gegen die Labor-Theorie. So hat bereits im Frühling 2019, also weit vor Ausbruch der Pandemie, ein chinesisch-internationales Forscherteam eine Studie über „Herkunft und artübergreifende Übertragung von Fledermaus-Coronaviren in China“ begonnen.
Damals öffnete auch das Labor in Wuhan seine Pforten und gab bereitwillig Aufschluss über den Forschungsbestand an Coronaviren. Zu dieser Zeit hätte es keinen Grund gegeben, über die Existenz von Sars-CoV-2 zu lügen. Außerdem verfügt das „Wuhan Institut für Virologie“ über entsprechende Hochsicherheitslabore. Darüber hinaus gibt es trotz eingehender Untersuchungen durch die WHO keine Hinweise auf Laborunfälle oder auf verdächtige Erkrankungen unter Mitarbeitern. Auch die nach China entsandten WHO-Experten stuften auf Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Daten einen solchen Unfall als „äußerst unwahrscheinlich“ ein. Der US Immunologe Anthony Fauci fasst die bisherige Datenlage so zusammen, “dass wir sehr sehr stark annehmen, dass [das Virus] nicht künstlich und willentlich manipuliert worden sein kann” und fügte hinzu, dass alle Zeichen darauf hinweisen, “dass das Virus in der Natur entstand, und dann zwischen den Spezies übersprang.”
Was spricht für eine „biologische Waffe“?
Hartnäckig hält sich die Verschwörungstheorie, dass es sich bei Sars-Cov-2 in Wahrheit um eine Biowaffe handeln könnte. Wer das Virus entwickelt und gegen wen eingesetzt hat, darüber gibt es die unterschiedlichsten Vermutungen. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump verbreitete die theorie ebenso wie sein Außenminister Mike Pompeo. Belege für die Anschuldigungen lieferten sie jedoch nicht.
Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass diese Verschwörungstheorie jeglicher Grundlage entbehrt. Die Grundstruktur des Virus spreche zweifelsfrei gegen eine gentechnische Manipulation und es sei für eine hochgerüstete Biowaffe letztlich zu harmlos. Führende Stabsmitarbeiter der Vereinten Nationen halten die Theorie ebenfalls für äußerst unwahrscheinlich. Schließlich wären beim Einsatz einer solchen fiktiven Corona-Biowaffe aufgrund der offensichtlichen Gefahr der Selbstansteckung, der schwer kontrollierbaren Ausbreitungswege und des fehlenden Impfstoffs die eigenen Truppen bzw. die eigene Bevölkerung in hohem Maße gefährdet. Kein Militär der Welt wäre an einer solchen Waffe interessiert.
Trotzdem ist der Vorwurf nicht aus der Welt zu schaffen. ie schlechte Stimmung zwischen den USA und China hält sie am Leben. Ende Mai griff US-Präsident Joe Biden öffentlich die Verschwörungstheorie auf, dass Covid-19 vom chinesischen „Wuhan Institute of Virology“ freigesetzt worden sein könnte, und beauftragte die US-Geheimdienste, innerhalb von 90 Tagen einen Bericht über die potenziellen menschengemachten Ursprünge der Krankheit zu erstellen. Die chinesische Regierung reagierte scharf. Sie lehnte nachträgliche Untersuchungen rigoros ab, sprach von einer „Hetzkampagne“ und dem Versuch der USA, von eigenen Fehlern in der Corona-Krise (33 Millionen Infizierte, knapp 600.0000 Tote) abzulenken. In chinesischen Medien wurde die Spekulation aufgewärmt, das Coronavirus sei in Laboren für Biowaffen des US-Militärs gezüchtet worden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kündigte immerhin weitere Untersuchungen aller Hypothesen an – selbst der weniger wahrscheinlichen. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus will allerdings keine Hoffnung auf eine rasche klärung machen: Keine einzelne Forschungsreise könne alle Antworten liefern, sagt er.
Wie lautet das Fazit?
Keine der Thesen zum Ursprung des Virus, natürliche Quellen oder Labor, lässt sich mit den vorliegenden Daten endgültig beweisen. Allerdings lieferte der WHO-Bericht hundertfach Daten und begründete Hinweise darauf, dass das Coronavirus aus Fledermäusen stammt und durch den engen Kontakt mit einem der vielen möglichen Überträger aus einer Tierfarm auf den Wildtiermarkt in Wuhan gelangte. Auch der molekulare Aufbau des Virus überzeugt bisher kaum einen Experten vom konstruierten Erreger. So führen viele Spuren zu den Wildtierhändlern und nur wenige ins chinesische Labor.